Beinahe täglich lese ich online Aussagen à la: „Jetzt gibt es erstmal ein Antibiotikum und wenn das nicht anschlägt, macht der Tierarzt weitere Tests.“ Dabei rollt es mir jedes Mal die Zehennägel hoch! Versteht mich nicht falsch, Antibiotika können Leben retten. Aber der immer noch gängige inflationäre Einsatz von Antibiotika ist einfach nur verantwortungslos und letztlich gefährlich, denn…
Inhaltsverzeichnis
Antibiotika sind
- nur gegen Bakterien wirksam,
- nicht einfach generell gegen jede Art von Bakterien wirksam,
- nicht frei von Nebenwirkungen,
- Arzneimittel und
- kein Diagnostik-Ersatz oder Diagnostik-Hilfsmittel!!!
Wie wirken Antibiotika?
Ein Antibiotikum wirkt nur gegen Bakterien. Ist die Krankheit anderweitig bedingt, hilft ein Antibiotikum gar nichts. Wer zum Beispiel an einem viralen Infekt leidet, kann so viele Antibiotika schlucken wie er will, den Viren ist das völlig egal.
Unterschiedliche Wirkungsbandbreite
Nicht jedes Antibiotikum hilft gegen jede Art von Bakterien. Oder anders ausgedrückt: Das Wirkungsspektrum eines Antibiotikums, also die Vielfalt an Bakterien, gegen die ein Antibiotikum tatsächlich hilft, ist von Antibiotikum zu Antibiotikum unterschiedlich. Jene Antibiotika mit einem sehr breiten Wirkungsspektrum nennt man daher Breitbandantibiotika.
Das Problem mit den „guten“ Bakterien
Die gesunde Darmflora besteht aus einer großen Anzahl unterschiedlicher Bakterien. Antibiotika machen nun aber keinen Unterschied zwischen den „guten“, für die gesunde Darmflora absolut notwendigen Darmbakterien und anderen, „bösen“ Bakterien. Werden „gute“ Darmbakterien durch ein Antibiotikum angegriffen, kann es zu einem Ungleichgewicht der Darmflora (Dysbiose) kommen. Daher ist eine der bekanntesten Nebenwirkungen von Antibiotika auch Durchfall.
Weitere Nebenwirkungen
Je nach Antibiotika gibt es auch unterschiedlich starke weitere Nebenwirkungen. Vor allem vor der unnötigen Verschreibung von Chinolon-und Fluorchinolon-Antibiotika warnt sogar die Pharmaindustrie selbst, wie aus einem Rote-Hand-Brief von 2019 hervorgeht.
Der verantwortungslose Einsatz von Antibiotika
Da ein Antibiotikum eben nur gegen Bakterien hilft, macht es auch nur Sinn, wenn tatsächlich Bakterien vorhanden sind. Da Antibiotika durchaus ernst zu nehmende Nebenwirkungen haben können und ihr häufiger Einsatz letztlich zu Resistenzen führt, ist auch klar, warum sie nicht als Ersatz für eine ordentliche Diagnostik dienen dürfen. Außerdem: Wenn erst einmal ein Antibiotikum „probiert“ wird und das eigentliche Problem unbehandelt bleibt, leidet die Katze nur unnötig länger.
Nur ein Beispiel, das ich (in sich sehr ähnelnder Form) leider in den letzten Jahren immer und immer wieder gehört und gelesen habe:
Die Katze hat massive Probleme und Schmerzen beim Pinkeln. Die tatsächliche Ursache sind Urinkristalle. Statt den Harn zu untersuchen, „diagnostiziert“ der Tierarzt/die Tierärztin aber erstmal per Kristallkugel eine Blasenentzündung und verschreibt ein Antibiotikum. Erst wenn das nichts wirken sollte, ist eine Urinuntersuchung eingeplant. (Was bei einer ordentlichen Urinuntersuchung alles zu beachten ist, könnt Ihr im verlinkten Beitrag nachlesen.) Das Antibiotikum kann aber natürlich nichts gegen die Urinkristalle ausrichten. Die Katze hat also weiterhin (völlig unnötigerweise) Probleme und Schmerzen bis endlich dann doch noch die notwendige Diagnostik erfolgt und die korrekte Diagnose gestellt wird. Die Gabe des Antibiotikums ist in einem solchen Fall also nicht nur medizinisch kontraindiziert, sondern auch eine unnötige Zeitverschwendung.
Nebenwirkungen und Resistenzen
Wenn die Diagnostik hinausgeschoben wird, bis sich zeigt, dass ein Antibiotikum nichts hilft, wird aber nicht nur unnötig Zeit verschwendet. Auch setzt man das Tier unnötigerweise möglichen Nebenwirkungen aus. Z. B. einer Katze, die ohnehin schon an Erbrechen und Durchfall leidet einfach mal so ein Antibiotikum zu geben, das die Darmflora noch weiter schädigt, kann ordentlich nach hinten losgehen.
Außerdem: Je häufiger bei Mensch und Tier Antibiotika eingesetzt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit der Resistenzbildung. Und wenn dann ein Antibiotikum tatsächlich einmal wirklich notwendig ist, hat man Müh und Not noch eines zu finden, das tatsächlich wirkt.
Wie entstehen Antibiotika-Resistenzen?
Bakterien sind sehr anpassungsfähig und vermehren sich schnell. Dabei kann es zu spontanen Veränderungen im Erbgut der Bakterien kommen, die die Erreger unempfindlich gegenüber Antibiotika werden lassen.
Hauptgründe hierfür sind, dass Antibiotika
- zu oft, zu kurz oder zu niedrig dosiert genommen,
- überhaupt unnötigerweise verschrieben, und
- oftmals in der Massentierhaltung eingesetzt werden.
In der Folge
- entstehen mehr und mehr resistente Bakterien,
- dauern Infektionen länger an und sind schwieriger zu behandeln,
- können bisher gut behandelbare Infektionen lebensbedrohlich werden und
- stehen für einige Infektionen kaum noch wirksame Antibiotika zur Verfügung.
Der verantwortungsbewusste Einsatz von Antibiotika
Statt ein Antibiotikum als Ersatz für eine ordentliche Diagnostik verwenden zu wollen, gehört genau diese an den Beginn jeder Behandlung. Bevor ein Antibiotikum zum Einsatz kommt, muss zunächst festgestellt werden, ob die Erkrankung überhaupt bakteriell bedingt ist. Des Weiteren ist zu klären, um welche Art von Bakterien es sich handelt, um das richtige Antibiotikum auszuwählen, das auch tatsächlich gegen die vorhandenen Bakterien wirksam ist.
Antibiogramm
Für die Feststellung, welche Antibiotika tatsächlich gegen die vorhandenen Bakterien wirksam sind ist ein Antibiogramm notwendig. Dabei wird eine Probe mittels Blutkultur und/oder Abstrich entnommen. Die Probe wird im Labor „bebrütet“ und geschaut, ob und welche Bakterien anwachsen. Dann kann bestimmt werden, welches Antibiotikum gegen die vorhandenen Bakterien wirksam ist. Natürlich kostet dieses Vorgehen auch Zeit: mindestens 2 bis 3 Tage. Das ist allerdings immer noch besser, als Tage oder gar Wochen zu verschwenden, indem die eigentliche Diagnostik an das Ende der Behandlung gestellt wird, anstatt am Beginn durchgeführt zu werden.
Ausnahmen/Ausnahmesituationen
Natürlich gibt es auch Situationen, in denen es nicht sinnvoll ist, mit dem Beginn einer Antibiotikabehandlung zu warten, bis ein Antibiogramm vorliegt: So zum Beispiel bei dem dringenden Verdacht einer Sepsis, bei stark verdreckten Wunden oder im Zusammenhang mit OPs.
Als Slimmy im Sommer 2018 fast an einem akuten Pankreatitisschub gestorbene wäre, hatten wir auch diese Situation. Die Peristaltik hatte bereits ausgesetzt und es bestand der dringende Verdacht, dass Darmbakterien bereits ins Blut gelangt waren, also eine Sepsis drohte. Klar, dass man in einer solchen Situation nicht tagelang auf ein Antibiogramm warten kann. Stattdessen hat unsere Tierärztin eine Blutprobe eingeschickt und parallel dazu bereits mit der Behandlung mit einem Breitbandantibiotikum begonnen. Das Antibiogamm hat dann gezeigt, dass tatsächlich bereits E-Colis im Blut waren und das Breitbandantibiotikum zum Glück auch diese abgedeckt hat.
Fazit
Leider werden sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin Antibiotika zum Teil immer noch eingesetzt, als würde es sich um „Zuckerl“ handeln. Wir selbst, unsere Haustiere und die sogenannten „Nutztiere“ bekommen gefühlt bei jeder Gelegenheit Antibiotika verordnet. Dies führt nicht nur dazu, dass wir es mit immer mehr resistenten Erregern zu tun haben. Es führt auch dazu, dass mit der „probeweisen“ Behandlung mit Antibiotika oftmals völlig unnötig Zeit verschwendet wird, in der schon eine ordentliche Diagnostik und eine zielgerichtete Behandlung durchgeführt werden hätte können.
Lasst Euren Katzen also bitte nicht einfach Antibiotika verabreichen – außer in absoluten Notfällen – sondern besteht auf einer ordentlichen Diagnostik und Behandlung. Im Zweifelsfall dauert die „Versuchsbehandlung“ mit einem Antibiotikum weitaus länger als die Erstellung eines Antibiogramms. Und in der Zwischenzeit musste Eure Katze nur unnötig leiden.